Steuerrad eines Segelschiffes als Metapher für lateral führen.

Lateral führen Teil 3 – Der Vertrauens- und Sinnscan

Um als laterale Führungskraft andere für ein Vorhaben zu gewinnen und sie davon zu  überzeugen, sich zu engagieren, müssen wir deren Commitment gewinnen. Dabei gibt es zwei Faktoren, die wesentlich darüber entscheiden, ob jemand bereit ist, sich zu engagieren: Vertrauen und Sinn.

Unsere Stakeholder stellen sich daher immer die folgenden Fragen, bevor sie sich zu einem zusätzlichen Aufwand committen:

  1. Setze ich Vertrauen in mein Gegenüber / die laterale Führungskraft?
  2. Bin ich vom Sinn des Vorhabens bzw. der Anfrage überzeugt?

Und das tun sie vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Landkarte und der organisationalen Logik.

 

Der Vertrauensscan

Als Studentin klingelte es an meiner Wohnungstür. Als ich öffnete, stand ein junger Mann nur mit einer Boxershort bekleidet vor meiner Wohnungstür und bat mich, telefonieren zu dürfen. Er sei der Freund meiner Nachbarin und habe sich ausgesperrt, weil es geklingelt habe und die Tür zugefallen sei. Er bat darum, seine Freundin, meine Nachbarin anrufen zu dürfen, damit sie ihm die Tür öffne.

Wie reagieren wir in einer solchen Situation? Auf jeden Fall fragen wir uns innerlich kurz und das tat ich auch, ob ich die Geschichte als glaubwürdig erlebe und den jungen Mann in die Wohnung lasse (damals gab es noch kein Handy). Ich musste mich also in kürzester Zeit entscheiden, wie ich mit der Situation umgehe und ob ich dem fremden Menschen vor der Haustür vertraue. Unser Unterbewusstsein ist in einer solchen Situation hochkomplex. Wir wägen früher gemachte Erfahrungen gegeneinander ab, haben Sicherheitsgedanken, verarbeiten persönliche Werte und Glaubenssätze und kommen zu einer Entscheidung. Auch unser Menschenbild spielt hier eine entscheidende Rolle.

Wir sind also in einem inneren Entscheidungsprozess, der um folgende Fragen kreist:

  • Kann ich meinem Gegenüber / der lateral führenden Person vertrauen? (Welche Vorerfahrungen habe ich mit ihm/ihr gemacht? Was sagt man über sie? Was ist mein Eindruck?)
  • Ist er/sie als Person und als Fachexpertin glaubwürdig?
  • Kann ich auf die Kompetenz meines Gegenübers vertrauen?
  • Ist der lateral Führende integer, ehrlich, loyal, fair?
  • Erreicht er/sie versprochene Ergebnisse?

Die Antworten summieren wir, um zu einem Ergebnis zu kommen. Man kann sich vorstellen, dass die Antworten die ganze Bandbreite von Zustimmung und Ablehnung einnehmen können. Eine Zustimmung unter Vorbehalt wird ein anderes Engagement nach sich ziehen, als eine 100%ige Zustimmung. Vertrauen ist also variabel und unterliegt kontinuierlicher Veränderung.

Als lateral Führende sollten wir uns folglich  bewusst sein, was wir an Kompetenz, Verlässlichkeit, Integrität ect. in die Waagschale werfe, damit jemand bereit ist, unserem Vorschlag oder unserer Erwartung Folge zu leisten.

Der Sinnscan

Laterale Führung wäre so einfach, wenn unsere Vorhaben nicht oft mit anderen Vorhaben in Konkurrenz stehen würden. In den seltensten Fällen wartet jemand darauf, mit einer zusätzlichen Aufgabe betraut zu werden. Meist ist das Gegenteil der Fall. Zu den vorhandenen Agenden kommen dann noch zusätzliche Themen obendrauf. Allerdings auch das nur dann, wenn sich dei Anfrage als sinnvoll erweist.

Der Unterschied zwischen Sinn und Nutzen

Wie stärken wir folglich unseren Stakeholdern den Rücken, wenn wir ihr Commitment gewinnen wollen? Das gelingt nur dann, wenn wir sie davon überzeugen, dass das geplante Vorhaben für sie einen persönlichen Sinn ergibt.

Das ist nicht mit dem persönlichen Nutzen zu verwechseln. Sondern es geht um die Frage, macht das Vorhaben für mich, mein Team, meine Organisation einen Sinn. Die Gewichtung kann ganz unterschiedlich sein und ist wieder von individuellen Überzeugungen, Werten und Interessen abhängig.

Als laterale Führungskräfte werden wir natürlich versuchen, unsere ganze Überzeugungskraft einzubringen. Dabei ist die Bewertung leider eine ganz persönliche Angelegenheit.

Die lateralen Stakeholder stellen sich nämlich folgende Fragen:

  • Macht das Vorhaben für mich Sinn?
  • Macht es (sinnlose) Mehrarbeit?
  • Ist es für mich von Relevanz? (in Bezug auf meine Funktion, als Privatperson, zum Erreichen meiner Jahresziele, für meine Energiebilanz …)
  • Kann ich mich mit dem Vorhaben identifizieren?
  • Ist es kompatibel mit den Werten und Überzeugungen, die ich als Repräsentant meiner Abteilung habe?
  • Wie unterstützt beziehungsweise beeinträchtigt das Vorhaben meine Interessen als Person und oder als Funktionsträger?

Auch hier geht es wieder darum, sich in die anderen hineinzuversetzen und zu versuchen, mögliche Antworten aus Sicht der Stakeholder zu finden. Nur wenn das laterale Vorhaben, die Anfrage oder Aufgabe Sinn ergibt – aus Sicht des Gegenübers – wird es ein volles Commitment an dieser Stelle geben.

Die Chance von Vertrauens- und Sinnscans

Wie wir gesehen haben, entstehen bei der Entscheidung über ein Vorhaben eine große Menge an Gedanken, Gefühlen und Überlegungen in unseren Stakeholdern. Je mehr wir uns davon ein Bild machen können, um so besser können wir die Chance unseres Vorhabens einordnen.

Das macht uns Arbeit! Gleichzeitig liegt darin ein großer Vorteil. Indem ich überlege, wie mein Gegenüber die Vertrauensfrage mir gegenüber beantworten würde, reflektiere ich mein eigenes Verhalten und meine Kompetenz. Und das wiederum kann Anstoß für unsere persönliche Entwicklung geben.

Ganz im Sinne des Zitats „der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“, hilft uns der Sinnscan, unser Vorhaben nochmals auf seine Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. Somit könnten wir Fehler und Ungereimtheiten finden und uns auch in der Argumentation unseres Vorhabens verbessern.

 

Fazit – Commitment braucht ein positives Ende

Erst wenn beide Scans in unserem Gegenüber positiv abgeschlossen sind, können wir ein sicheres Commitment erwarten. Manchmal brauchen diese Scans Zeit, um Sachverhalte zu prüfen und Dinge abzuwägen. Auf jeden Fall brauchen beide Scans ein positives Ergebnis für ein volles Commitment.

 

Quelle: Gunther Fürstenberg, Tanja Ineichen, Commitment gewinnen als laterale Führungskraft, Haufe Verlag, 2016