Manche Leser*innen kennen es aus eigener Erfahrung: Das Leiden unter dem eigenen Chef! Manche haben das Glück, unter einer Führungskraft zu arbeiten, die man schätzt und deren persönliche oder fachliche Unzulänglichkeiten man wunderbar akzeptieren kann. Überwiegen doch dann die positiven Qualitäten.
Andere aber leiden wirklich und das tagein, tagaus unter einem/r führungsunfähigen, egoistischen oder frauenfeindlichen Vorgesetzten. In meiner Rolle als Coach, bin ich in der Vergangenheit manchmal der Verführung erlegen, gemeinsam mit meinem Klient*innen, mit seriösen Coachingtools nach möglichen Lösungen für das Vorgesetztenproblem zu suchen. Problemlösend waren diese Prozesse nicht wirklich. Zwar waren meine Klienten meist besser befähigt, mit Kränkungen und Inkompetenz umzugehen und sich besser abzugrenzen. Aber von dem Wunsch nach Unterstützung, Förderung, Kooperation durch ihren Chef waren sie trotzdem oft meilenweit entfernt.
Auch hier gilt, wie so oft folgender Grundsatz: „manche Situationen lassen sich nicht verändern!“ Und so trivial das klingt, es geht darum, „zu akzeptieren, was ist“.
Hierarchische Macht und deren Akzeptanz
Die personenbezogene Arbeit im Coaching dieser Klient*innen ändert nichts, an dem eigentlichen Thema. Nämlich der hierarchischen Macht (auch von beispielsweise hoch narzisstischen Vorgesetzten) und deren Akzeptanz. Der Chef als eingesetzter Vertreter der organisationalen Hierarchie – nicht als Mensch. Das ist manchmal schwer auszuhalten.
Eine meiner Klientinnen litt lange Zeit in einer patriarchalischen Organisation unter der „gläsernen Decke“ und dem abwertenden Verhalten der nächst höheren Ebene. Sie beschrieb ihre Ansprechpartner als „arrogant, egoman, unfähig, kalt und abwertend“, ihre Abneigung war deutlich zu spüren und noch mehr zu hören. In langen Tiraden jammerte sie über die Ungerechtigkeit, beschrieb jede Situation ausführlich und beurteilte ihren Chef vernichtend.
Solche Situationen sind gar nicht so selten. Selten ist allerdings die Fähigkeit, den Chef im Sinne der organisationalen Logik zu akzeptieren. Denn an diesem Fakt lässt sich meist nicht rütteln, dieser Chef ist der Chef! In dieser Rolle gebührt ihm bzw. ihr Rollenrespekt. Erst wenn wir das anerkennen und damit Frieden schließen können, wenn wir die gegebene Asymmetrie der Rangordnung für uns selbst annehmen können, ist die Basis für eine wirksame Auseinandersetzung geschaffen. Nur vor diesem Hintergrund sind aus der Sicht der systemischen Beraterin Mechthild Erpenbeck eine Betrachtung der Interaktionsmuster und eine Stärkung der persönlichen Ressourcen sinnvoll.
Ablehnung der Führungskraft untergräbt die Kooperationsbereitschaft
Aus der totalen Ablehnung einer Person entsteht auch keine eigene Kooperationsbereitschaft. Wer seinen Chef zum Teufel wünscht, wird sich auch dementsprechend verhalten. Wir sind also nicht nur Opfer einer Situation, sondern auf irgendeine Art und Weise auch immer Täter. Da reichen dann schon kleine kommunikative Spitzen, das Vergessen von Terminen, das Zuspätkommen in Besprechungen oder offensichtliche Machtgesten, um auch auf der Gegenseite das Feuer der toxischen Spiele anzufachen.
Oben genannte Klientin erkannte in unserem Prozess, dass sie nicht nur weibliches Opfer eines männerdominierten Systems war, sondern hier auch selbst ihren Beitrag dazu geleistet hatte. Am Ende verließ sie im Guten das Unternehmen und fand eine für sie zugeschnittene Managementaufgabe, in der sie ihre Fähigkeiten und langjährigen Erfahrungen einbringen konnte.
Unsichtbare Regeln der Macht
Wie häufig werden organisationale Rangordnungen in Unternehmen in Frage gestellt? Das Team boykottiert den Chef. Eine Führungskraft hinterfragt die Interessen ihres Vorgesetzten. Darum bildet sich ein System von Intrigen, Misstrauen und Konflikten und am Ende leidet die Wahrnehmung der eigentlichen Aufgabe darunter und der Output sinkt.
Aber was ist nun die Erkenntnis aus dieser Realität, die sicherlich vielen Leser*innen bekannt vorkommt?
Provokant zusammengefasst: nur die Person, der es gelingt, dem König oder der Königin die gebührende Ehre und Anerkennung entgegenzubringen, wird für die eigenen Anliegen und Interessen und ggf. auch konträre Positionen Gehör finden. Und damit eine Chance haben, sich durchzusetzen. Das sind die unsichtbaren Regeln der Macht.
Jede Veränderung beginnt mit der Würdigung des Gegebenen
Die gute Nachricht lautet allerdings: Jede Veränderung beginnt mit der Würdigung des Gegebenen. Dieser therapeutisch klingende Satz trägt tatsächlich viel Bedeutung in sich. Das Leben mit einer inakzeptablen Führungskraft setzt Entwicklung voraus, nämlich die Fähigkeit der Akzeptanz für eine herausfordernde Situation und dann die Fähigkeit, aus dieser Position heraus, neue Entscheidungen und Schritte abzuleiten.
Auswirkungen fehlenden Rollenrespekts
Mitarbeiter*innen, die diesen Respekt vermissen lassen, geraten ja durchaus auch in das Blickfeld der Hierarchie. Die einfachste Lösung wäre ja immer, zu kündigen und sich einen kompetenteren Vorgesetzten zu suchen. So einfach ist das aber nicht, weil häufig die Aufgabe spannend, die Kolleg*innen nett sind oder weil man schon so lange in der Macht der Gewohnheit verharrt. Und so halten viele Menschen diese Situation aus, weil die Bilanz unter dem Strich dann doch noch zu passen scheint; zumindest redet man sich das ein.
Gleichzeitig wird aber oft gegen den Chef oder die Chefin rebelliert, mit dem Anspruch, dass einem diese Kritik oder Forderungen zustehen. Wenige Führende sind bereit, sich dieser Situation auf Dauer auszusetzen und sich mit einem rebellischen Mitarbeiter zu matchen. Dann kann es sein, dass nicht ich, als unzufriedene Mitarbeiter*in die Situation verändere, sondern mein Chef. Im worst case durch eine Kündigung.
Quelle:
Mechthild Erpenbeck: Wirksamwerden im Kontakt, Carl Auer Verlag, 2021, vierte Auflage