Genuss ist eine Sinnesempfindung, die mit körperlichem und psychischem Wohlbefinden verbunden ist. Wir genießen Wein, bestimmte Speisen, Musik, Kunst, Kultur und ein gutes Buch, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das letzte Jahr hat mir persönlich wieder ganz bewusst vor Augen geführt, wie wichtig das bewusste Genießen für meine Stimmung und mein Wohlbefinden ist. Ich kann bspw. ein Essen genießen und ich kann es konsumieren. Der Unterschied ist auf jeden Fall frappant.
In der Coronahektik war es in den letzten Monaten nicht einfach, sich persönliche Genussmomente zu schaffen, die auch wirklich mit einem wohligen Gefühl verbunden sind. Dazu gab es für viele zu viel Stress, Aufregung und andere psychische Belastungen. Zeit, gerade auch als Führungskraft wieder für die eigene Genussfähigkeit und damit für Entspannung zu sorgen.
Sylvia Petz, Eigentümerin der „Agentur für organisierten Genuss“ hat übrigens ergänzend einen ganz wunderbaren Blogbeitrag zum Thema „Warum Essen nach den Jahreszeiten uns auch glücklich macht“ geschrieben. Auch Belohnungsaufschub wirkt sich demnach positiv auf unser Belohnungs- und Motivationszentrum aus
Warum Genießen wichtig ist
Ich erinnere mich noch, wie ich in den achtziger Jahren mit meinem damaligen Freund von München über den Brenner Richtung Gardasee gefahren bin. Wie groß war die Vorfreude auf den ersten Espresso bzw. den ersten Cappuccino hinter der Grenze. Die kleinste Bar signalisierte, dass es hier etwas ganz Wunderbares zu genießen gibt. Und gerade für mich Deutsche, den Filterkaffee gewöhnte Studentin war der Geschmack von frisch gemahlenem und aufgebrühtem Kaffee damals fast unschlagbar.
In der Zwischenzeit gibt es überall guten Kaffee. Ich kann mich immer noch über einen schmackhaften Espresso mit feinen Röstaromen freuen, aber eben nicht mehr so, wie damals. Durch die ständige Verfügbarkeit hat der Kaffee einen Teil seiner Wirkung auf den Bereich in meinem Gehirn, der für Genuss und Vorfreude verantwortlich ist, eingebüßt.
Was physiologisch bei Genuss passiert
Beim Genießen entstehen in der Nase Sinneseindrücke, die mit früheren Erfahrungen verglichen werden. In unserem Limbischen System werden Neurotransmitter ausschütten, die auf das Belohnungssystem wirken. So entsteht ein Gefühl von Entspannung, das wir mit Genuss verbinden.
Genussfähigkeit wird sozial erlernt
Mittlerweile weiß man, dass die Genussfähigkeit schon früh in unserem sozialen Umfeld gelernt wird. Das bedeutet, wir brauchen in unserer Sozialisation einen kleinen Schubs, um im wahrsten Sinne des Wortes auf den richtigen Geschmack zu kommen. Menschen, die früh den Wert des kleinen Genusses gelernt haben, tun sich deutlich leichter, als jemand, für den beispielsweise ein Essen als Kind nur dazu da war, um den Magen zu füllen.
Mittlerweile weiß man auch im Kontext der Klinischen Psychologie um die Wirkung des Genießens. Menschen mit einer schweren Depression beispielsweise haben oft ihre Genussfähigkeit verloren. Hier ist ein therapeutisches Ziel, diese Genussfähigkeit (wieder) zu lernen, um mehr Lebensqualität zu erlangen. Auch Burnout-Patient*innen verlieren im Zuge ihrer Erkrankung ihre Genussfähigkeit. Die Hamburger neben dem Computer haben nicht nur die Tastatur verschmiert, sondern beleidigen mit der Zeit auch das Geschmacksempfinden und die Freude am Essen.
Die kleine Schule des Genießens
So heißt ein Buch von Eva Koppenhöfer zum Aufbau positiven Erlebens und Handelns im therapeutischen Kontext. Überraschenderweise finden sich genau diese Erkenntnisse mittlerweile auch in der Managementliteratur, wenn es um Selbstführung und Selbstfürsorge geht
Und somit schließt sich der Kreis. Nachfolgend stelle ich Ihnen kurz die wichtigsten Kernaussagen vor.
1. Erlauben Sie sich Genuss
Es ist nicht für alle Menschen selbstverständlich, sich Genuss zu erlauben. Man erinnere sich nur an die früheren Bauernfamilien, in denen es verpönt war, ein (gutes) Buch zu lesen. Abgesehen von der Bibel. Man muss auch nicht erst etwas Gr0ßartiges leisten, um sich gute Erdbeeren oder Kirschen oder auch Schokolade zu gönnen. Genießen zu lernen beginnt damit, sich Genuss zu erlauben. Auch, wenn Sie als Kind vielleicht etwas anderes dazu gelernt haben.
2. Nehmen Sie sich zum Genießen die notwendige Zeit
Genuss braucht Zeit und vor allem Bewusstheit. Man muss nicht zehn Minuten an einer Praline herumlutschen. Aber einen Augenblick des achtsamen Gewahrsams steigert den Genuss um ein Vielfaches. So lustig es klingen mag, mir tun bettelnde Hunde immer leid. Erst warten sie ungeduldig auf das Leckerli und dann schlingen sie es in Null-Komma-Nichts herunter. Ich wünsche ihnen tatsächlich in solchen Situationen immer die Fähigkeit des Genusses.
3. Genießen Sie bewusst
Und damit sind wir auch schon bei Anregung Nummer Drei. Genuss geht nicht nebenher. Unser Belohnungszentrum braucht unsere Aufmerksamkeit, damit wir die Sinnesreize richtig wahrnehmen können. Genuss braucht Achtsamkeit. So können Sie gleichzeitig auch Ihre Achtsamkeit schulen und gleich doppelt für weniger Stress sorgen.
4. Schulen Sie Ihre Sinne
Kennen Sie das auch noch? Das erste Glas Wein hat wahrscheinlich den wenigsten unter uns geschmeckt. Irgendwann wussten wir dann, dass wir Rotwein lieber mögen als Weißwein. Und dann fingen wir an, Präferenzen bei den Traubensorten zu setzen. Unsere Sinne brauchen Übung. Nicht umsonst ist die Rosinenübung, in der man 5 Minuten mit geschlossenen Augen auf einer Rosine kaut, eine der Einstiegsübungen zum Thema Achtsamkeit.
5. Genießen Sie auf Ihre Art
Finden Sie heraus, was Ihnen Genuss bereitet und das muss nicht allen gefallen. Ich liebe beispielsweise eine spezielle Rosenlimonade, die ich auch nur sehr selten trinke. Andere finden sie einfach nur picksüß. Also gilt auch hier „Jeder/m das Ihre/Seine!“
6. Planen Sie Ihren Genuss
Überlassen Sie Ihren Genuss nicht nur dem Zufall. Gerade die Planung eines schönen Essens bedeutet, einen speziellen Rahmen zu schaffen, der den Genuss steigert. Und die Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude.
7. Genießen Sie lieber wenig, aber richtig
Hier schließt sich der Kreis mit den saisonalen Erdbeeren und dem italienischen Kaffee. Über richtigen Genuss entscheidet nicht die Quantität, sondern die Qualität. Ein gutes Glas Wein, statt einer Flasche.
8. Genießen Sie die kleinen Dinge des Alltags
Wie viel Schönes begegnet uns im Alltag, das wir teilweise gar nicht mehr wahrnehmen. Die einzelne Rose in einer Vase und dann die abgefallenen Blätter derselben Rose, die ein wunderbares Stillleben darstellen. Es muss eben nicht immer der große Blumenstrauß sein. Seien Sie neugierig auf die kleinen Dinge, die Ihnen Genuss und Freude bereiten.
Zum Weiterlesen:
Warum Essen nach den Jahreszeiten uns auch glücklich macht!
Quellen:
Wikipedia, Genuss
Tutorial „Genießen lernen“, Managerseminare 12/2020
Eva Koppenhöfer: Kleine Schule des Genießens, Pabst Sience Publisher, 10/2004