can you tolerate ambiguity

Ambivalenz in sozialen Konflikten – Ambiguitätstoleranz

Konfliktberatung ist einer meiner Beratungsschwerpunkte und immer wieder eine interessante Herausforderung. Das Zitat „Die Landkarte ist nicht die Landschaft“ bringt mit einem Satz die Mehrdeutigkeit und Subjektivität persönlicher Sichtweisen auf den Punkt. Jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit, wie er Dinge wahrnimmt, sich erklärt und begründet. Das ist eine Hauptursache für soziale Konflikte und macht Konfliktberatung so komplex.

Der bekannte Managementberater Reinhard Sprenger beschreibt in seinem neuen Buch „Magie des Konflikts“ unter anderem die Mehrdeutigkeit als das Wesen und die Ursache von Konflikten. Dieser Blogeintrag geht der Ambiguitätstoleranz, d.h. der Fähigkeit Ambivalenz aushalten zu können auf den Grund. 

Ambivalenz aushalten können

Soziale Konflikte sind aus der Sicht von Reinhard Sprenger die „Personifikation“ von Ambivalenz: man befürwortet die eine Sichtweise und das Gegenüber die andere. In diesen volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Zeiten ist der Versuch zu vereinfachen, zu fokussieren und in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken für Unternehmen und Politik tödlich. Der Wunsch nach klaren Strategien, eindeutigen Entscheidungen und schnellen, einfachen Antworten ist nachvollziehbar und gleichzeitig hoch gefährlich.

Ambiguitätstoleranz als Fähigkeit im Umgang mit Ambivalenz

So geht es auch in Konflikten darum, nicht die Frage nach dem „Entweder – Oder“ zu beantworten, sondern auf die Suche nach dem „Sowohl-Als-Auch“ oder „Weder-Noch“ zu gehen. Das bedeutet für die Entwicklung von Lösungen und Entscheidungen die den Themen und Meinungen innewohnende Mehrdeutigkeit zuzulassen und die Ambivalenz als Richtschnur zu sehen. Es geht nach Sprenger darum, Widersprüche zu ertragen und auf keinen Fall von Anfang an von „alternativlosen“ Lösungen auszugehen. Diese Fähigkeit, die es auszubauen gilt ist die Ambiguitätstoleranz.

Ambivalenzen negieren – als Auslöser für Konflikte

Auch Werte und Stärken sind ambivalent und nicht per se gut oder schlecht. Der Wert Nachhaltigkeit beispielsweise kann ein USP für ein Unternehmen darstellen. Wird er radikal gelebt, könnte er aber auch der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens entgegenstehen. So wie auch Persönlichkeitszüge wie zum Beispiel Direktheit bedeuten können, auch unangenehme Themen konkret beim Namen zu nennen, aber auch andere direkt vor den Kopf zu stoßen.

In Konflikten negieren wir meistens diese Ambivalenz, „also, dass es einen Möglichkeitsraum jenseits dessen gibt, was wir uns selbst vorstellen können und intuitiv gutheißen.“  Wir erwarten dann, dass unsere Art und Weise die Welt zu sehen, einen Sachverhalt zu entscheiden oder einen Geschäftspartner zu beurteilen, die einzige richtige ist. Und wir ärgern uns, wenn wir mit dem Gegenteil und dann auch noch fehlender Einsicht konfrontiert werden. Und spätestens dann werden Meinungsverschiedenheiten emotional, weil Menschen dann auf der Beziehungsebene betroffen sind.

Ambiguitätstoleranz erlaubt einen integrativen Blick

Ambiguitätstoleranz zu leben bedeutet einen integrativen Blick auf die Dinge zu haben und gleichzeitig den jeweiligen Kontext zu berücksichtigen. Gerade Organisationen müssen aufgrund ihrer Struktur Widersprüche ausbalancieren, die Interessen von Produktion und Vertrieb, von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit, von Werten wie Kontrolle und Vertrauen.

Die Verabschiedung von der Suche nach dem Konsens

Reinhard Sprenger war immer schon gegen den Strich gebürstet. Als alle Welt das Thema Motivation in den Fokus nahm, schrieb er 2002 seinen Bestseller „Mythos Motivation“, in dem er das bestehende Motivationsverständnis provokant in Frage stellte. Auch diesmal bricht er mit dem gelernten Konfliktverständnis, sich auf einen Konsens zu einigen und den Konflikt lösen zu müssen. Stattdessen plädiert Sprenger dafür temporäre Verknüpfungsmöglichkeiten mit dem Konfliktpartner zu suchen. Denn es geht nicht um Konsens, es geht darum gemeinsam weiterzumachen!

Die Fokussierung auf das gemeinsame Problem

Voraussetzung dafür ist, Konflikte als etwas zu sehen,

  • das einen in der Unterschiedlichkeit der Standpunkte weiterbringen kann,
  • gemeinsam die Sicht der Dinge zu erweitern und
  • in einen Dialog der gegenseitigen Erwartungen einzutreten.

Denn häufig sind Probleme nur gemeinsam zu lösen. Mit dieser Sicht darf das Trennende in den Hintergrund rücken. Die Frage in einer Konfliktklärung lautet also, wie können wir gemeinsam das erreichen, was uns beiden am Herzen liegt, nämlich der erfolgreiche Fortbestand unseres Unternehmens.

Erfolgreich streiten wir – nach Sprenger – dann, wenn es um die Erwartung einer gemeinsamen Zukunft geht und um die Bereitschaft, diese gemeinsam erreichen zu wollen. Wenn es keine Erwartung mehr auf eine gemeinsame Zukunft, sei es in einer Partnerschaft oder in einem Unternehmen gibt, dann fehlt auch die Bereitschaft sich gemeinsam zu engagieren. Das setzt allerdings eine grundsätzliche Wertschätzung für den anderen voraus. Fehlt diese, steht nur das Trennende im Vordergrund und nicht das gemeinsame Ziel.

Konfliktbewältigung ist eine Frage der gewollten Beziehung

Das bedeutet konkret …

  • gemeinsam weitermachen wollen,
  • den anderen gleichberechtigt anerkennen wollen,
  • die Perspektive des anderen als bereichernd erleben wollen,
  • dem anderen entgegenkommen wollen,
  • die eigene Position als eine unter vielen relativieren wollen und
  • den eigenen Standpunkt als subjektiv betrachten wollen.

Dazu gehören auch die Regeln einer konstruktiven Kommunikation. Keine Vorwürfe und Beleidigungen, sondern sachliche Beschreibungen des erlebten Verhaltens und erklären, was es in einem selbst auslöst.

In diesem Sinne – schärfen wir unseren Blick für die Ambivalenz in allen Dingen.

 

Konfliktberatung

Mailen Sie mir oder rufen Sie mich an: michaela.stark@blaufeuer.at, +43 664 5451 340

Quelle

Dr. Reinhard K. Sprenger, „Disput tut gut – Konflikte konstruktiv nutzen“ in managerSeminare, Heft 268, Juli 2020

Literaturempfehlung

Dr Reinhard Sprenger: Magie des Konflikts – Warum ihn jeder braucht und wie er uns weiterbringt, Deutsche Verlagsanstalt 2020